Auch knapp zwei Monate nach den Parlamentswahlen vom 4. März in Italien lassen Zeichen einer erfolgreichen neuen Regierungsbildung weiter auf sich warten. Nach der krachenden Niederlage der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), von der besonders die rechtsgerichtete Fünf Sterne Bewegung MoVimento 5 Stelle (M5S) und die noch rechtere Lega Nord profitieren konnten, stehen sich die beiden Lager bisher unvereinbar gegenüber. Die Hängepartie könnte jedoch bald ein Ende haben – entweder durch die Bildung einer zunächst unerwarteten und überraschenden Koalitionsregierung oder durch Neuwahlen.

Der Weg zu den Parlamentswahlen 2018

Dass es zu solch einer schwierigen Situation kommen würde, hat sich bereits in den Tagen und Wochen vor der Wahl abgezeichnet. Die Wurzeln liegen jedoch schon in den politisch turbulenten Jahren nach Beginn der Euro- und Staatsschuldenkrise. Mit der Übernahme des Ministerpräsidentenamtes durch den Sozialdemokraten Matteo Renzi Anfang 2014 schien in die seit Beginn der Euro-Krise eher unsteten politischen Verhältnisse Italiens zunächst einmal eine gewisse Kontinuität und neu gewonnen Stärke einzukehren. Renzi suchte für seinen Kurs gegen die strikte Austeritätspolitik der Europäischen Kommission gerne die Öffentlichkeit und stieg damit zum Posterboy der EU-Staaten auf, die sich gegen den vermeintlich von Deutschland diktierten Sparzwang stellten. Seine Position war klar: Das auferlegte Sparprogramm alleine kann die Probleme der italienischen Wirtschaft – v.a. ein geringes Wirtschaftswachstum kombiniert mit hoher Jugendarbeitslosigkeit – nicht lösen. Vielmehr müsse über gezielte Investitionen und Anreizsysteme neuer Schwung in Italiens Wirtschaft kommen.

Nach einer gescheiterten Volksabstimmung zu einer durch Renzi initiierten Verfassungsreform, die unter anderem das Wahlrecht vereinfachen sollte, trat er jedoch Ende 2016 zurück und übergab die Geschäfte an seinen ehemaligen Außenminister Paolo Gentiloni. Dieser führte den eingeschlagenen Weg innerhalb der Europäischen Union konsequent fort, auch wenn er eher die leisen Töne präferierte und die Diskussion zurück in die Runde der Staats- und Regierungschefs trug. Gentiloni führte die Regierung schließlich bis zur Wahl im März und ist heute kommissarischer Ministerpräsident.

Regierung kann Italiens Probleme scheinbar nicht lösen

Die inner-italienischen Probleme konnten die beiden Ministerpräsidenten Renzi und Gentiloni, trotz deutlicher mahnender Worte aus Brüssel, ebenso wenig lösen wie ihr Vorgänger Enrico Letta. Das Wirtschaftswachstum steigt nur langsam, ist aber mittlerweile wieder bei Vorkrisen-Niveau von ca. 1% angelangt. Die insgesamt hohe Arbeitslosigkeit und insbesondere die exorbitant hohe Jugendarbeitslosigkeit konnte nicht effektiv bekämpft werden und auch wichtige italienische Banken, wie die Monte dei Paschi di Siena oder die Banca Popolare di Vincenza sind alles andere als stabil. Beiden Geldhäusern musste mit italienischen Steuergeldern – gegen europäische Regeln – ausgeholfen werden, um die Einlagen der Kleinsparer nicht zu gefährden.

Die Reaktion der italienischen Bevölkerung auf die zahlreichen Krisen ist ein Rückzug in die eigene Region und eine Abkehr von der nationalen Ebene und gesamtitalienischen Belangen und Problemen. Dieser neue Regionalismus speist sich aus der Enttäuschung der Bürgerinnen und Bürger über die Politik, gepaart mit einem Gefühl betrogen worden zu sein. Dieses Gefühl richtet sich dabei nicht allein gegen die Regierung, sondern auch gegen die Europäische Union, die über ihre Politik des Sparens die Härten, welche die italienische Gesellschaft aushalten muss, vermeintlich erst ausgelöst hat. Viele Italiener flüchten sich deshalb auch in eine Erinnerung an die italienischen Genossenschaften, die in der weniger globalisierten Welt der Vergangenheit für eine gewisse Stabilität und soziale Gerechtigkeit gesorgt hatten.

Die Flüchtlingskrise wird zur Wahl instrumentalisiert

Hinzu kommt die große Zahl an Flüchtlingen, die Italien über das Mittelmeer erreichen. Schien es 2015/2016 noch so, dass sich an den bestehenden europäischen Regeln etwas ändern könnte und so die hauptsächlich betroffenen Mitglieder Griechenland und Italien entlastet würden, so ist es mittlerweile wieder sehr ruhig geworden um eine Reform des Asylsystems und eine gerechtere Lastenverteilung. Zwar baut Italien seine Aufnahmekapazitäten aus, die weiterhin hohen Flüchtlingszahlen können damit dennoch nicht bedient werden. Der damit einhergehende skeptische Grundtenor Einwanderern gegenüber versuchen die Parteien zu nutzen, um über populistische Parolen möglichst viele Stimmen einzufangen. So wurde das Attentat eines Rechtsextremen in der Stadt Mascerata vom 4. Februar 2018 nicht dazu genutzt, die steigende Ausländerfeindlichkeit zu problematisieren. Vielmehr wurde versucht, genau diese Ausländerfeindlichkeit für kurzfristige Erfolge zu instrumentalisieren.

Der Wahlkampf hat ein weiteres Problem der italienischen Politik klar zum Vorschein gebracht: keine der Parteien kann überzeugende Lösungen für die Vielzahl an Problemen präsentieren. Der eigene Verantwortung für die hohe Staatsverschuldung, die kriselnde Wirtschaft oder die Jugendarbeitslosigkeit stellen sich die Parteien nicht klar genug.

Die Wahlergebnisse liefern kaum Argumente für die gemäßigten Parteien

In dieser Gemengelage kann es nicht überraschen, dass die sozialdemokratische Regierung ihren Kredit in der eigenen Bevölkerung verspielt hat und gleichzeitig die populistischen Bewegungen am rechten Rand starken Zulauf bekommen. Dementsprechend lieferte die Wahl auch ein klares Ergebnis: Die Mitte-Rechts-Koalition mit der Lega Nord und Silvio Berlusconis Forza Italia erreicht in beiden Kammern 37% der Stimmen, während die Mitte-Links-Koalition – in der die sozialdemokratische Partito Democratico als einzig nennenswerte Partei verblieben ist – auf lediglich knapp unter 23% der Stimmen kommt (wobei die PD weiterhin die zweitstärkste Einzelpartei bleibt). Die bei weitem stärkste Einzelpartei ist die schillernde, schwer einzuordnende, aber als rechtspopulistisch und EU-skeptische geltende MoVimento 5 Stelle mit etwas mehr als 32%.

Dabei sind die Stimmverteilungen in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich verteilt. Die MoVimento 5 Stelle hat ihre Hochburgen klar im südlichen Italien mit bis zu 50% in Sardinien, Sizilien oder Kalabrien bis hin nach Kampania. Doch auch in den Regionen, in denen die M5S ihre schwächsten Ergebnisse einfährt, erreicht die Partei noch immer zwischen 15 und 20%, wie beispielsweise in Trentino-Südtirol oder der Toskana. Bei der Lega Nord zeigt sich ein fast entgegengesetztes Bild. Hier liegen die schwachen Wahlergebnisse in den Regionen Kampania (unter 5%), Basilikata oder Apulien, die jeweils im südlichen Teil des Landes liegen. Die Hochburgen der Lega Nord sind hingegen die nördlichen Regionen Venetien und die Lombardei, in denen die Partei zwischen 25 und 35% erreichen konnte. Ähnliche Zustimmungswerte konnte die sozialdemokratische PD nur in den beiden Regionen Toskana und Emilia-Romagna erreichen. In den meisten anderen Landesteilen konnte die bisherige Regierungspartei die 20%-Grenze nicht überschreiten. Für die Forza Italia sieht das Bild noch etwas deutlicher aus. Die Partei, die sich 2013 so sehr zerstritt, dass sie in zwei Parteien zerbrach, konnte nur in Sizilien und Kalabrien über 20% der Stimmen erobern und muss sich meist mit Werten unterhalb der 15% zufriedengeben. Insgesamt stellt das Wahlergebnis für die etablierten Parteien ein äußerst ernüchterndes, ja niederschmetterndes Ergebnis dar, das das weitgehende Scheitern der Regierungspolitik der letzten Jahre in den Augen der Wähler zum Ausdruck bringt.

Letzte Chance auf eine neue Regierung

Direkt nach der Wahl gab die Koalition um die Lega Nord sowie die MoVimento 5 Stelle bekannt, Sondierungsgespräche führen zu wollen. Diese sind nicht zuletzt daran gescheitert, dass die M5S eine Beteiligung Silvio Berlusconis an der Regierung strikt ablehnt. Da Lega-Chef Matteo Salvini jedoch an seinem Bündnispartner Berlusconi festhält, landeten die beiden Wahlgewinner in einer Sackgasse. Deshalb steht jetzt die PD wieder in der Pflicht. Wie auch die SPD hatte die PD direkt nach der Wahl eine erneute Regierungsbeteiligung ausgeschlossen, sieht sich nun aber dazu genötigt, in Verhandlungen mit der MoVimento 5 Stelle von Luigi Di Maio einzutreten. Dieser hatte offen angekündigt, dass bei einem Scheitern der Gespräche Neuwahlen angesetzt werden müssten. Daher wird in den kommenden Tagen nun also der voraussichtlich letzte Versuch einer Regierungsbildung unternommen. Gewisse Erfolgschancen bestehen insofern, als Di Maio den zuvor krass EU-skeptischen Kurs der M5S abzumildern beginnt und jüngst eine pro-europäische und pro-atlantische Kehrtwende eingeleitet hat.  Sollte dies nicht ausreichen, um die PD ins Boot einer neuen Regierung zu holen, stehen Neuwahlen unmittelbar bevor.

Doch auch wenn der letzte Versuch einer Regierungsbildung gelingt, muss die M5S als stärkste Fraktion zeigen, dass sie in der Lage ist, Lösungen zu erarbeiten, die Italien aus seiner Unsicherheit und Misere herausführen. Auch ist kaum zu erwarten, dass ein Bündnis von PD und M5S stabil und problemlösungsorientiert das Land wird führen können.

Italien steht damit erneut vor einer ungewissen Zukunft und unsteten politischen Verhältnissen. Unter diesen Voraussetzungen wird es sicher nicht einfacher die gravierenden Probleme des Landes zu lösen. Einen noch stärkeren Regionalismus im Inneren und eine dauerhafte Abwendung von der europäischen Idee jedoch können sich das Gründungsmitglied Italien und auch die Europäische Union nicht leisten.